Hanne Luhdo
Zwischen Erinnerungen und Visionen

Kerzen flackerten am 21. November auf den Tischen im „Eiskristall“. An der Wand hingen Fotos und andere Dokumente wie die Fahne „Schwerter zu Pflugscharen“ und
„Wer die Stasi stützt, dem Volk nicht nützt!“. Eine kleine Runde hatte sich zusammengefunden, um zurückzublicken auf das Jahr 1989. Bürgerrechtler Heiko Lietz sprach
über prägende Erlebnisse in seiner Kindheit, seine Rolle in der Kirche und im „Neuen Forum“, über Träume, Visionen und verpasste Chancen. Die Zeit reichte nicht, all die
Ereignisse zwischen Friedenskreisen, ersten Demos, Dialogen, Runden Tischen und der legendären Volkskammerwahl im März 1990 zu beleuchten. Auch die Zuhörer aus
Ost und West brachten ihre Erinnerungen in die Gesprächsrunde mit ein und erzählten darüber, dass viele im Westen den Ereignissen im Herbst 89 in der DDR wenig
Bedeutung schenkten und die Maueröffnung kaum glauben konnten. Die Stunden und Tage danach waren dann aber auch für die Westberliner sehr aufregend und teilweise
chaotisch, da die Transitstraßen zwischen dem Westteil Berlins und den Bundesländern verstopft waren. Obwohl die berüchtigten Grenzkontrollen nur noch oberflächlich waren,
dauerte die Reise viele Stunden länger. Einig waren sich alle darüber, dass bei allen positiven Entwicklungen viel auf der Strecke geblieben ist und auf Veränderung wartet.
Auf die Frage, wo die Waggons hinter Heiko Lietz als eine der „Lokomotiven der friedlichen Revolution“ geblieben sind, konnte der Menschenrechtler auch nur mutmaßen.
Für ihn sind die Menschenrechte auch heute noch Dreh- und Angelpunkt seines Wirkens und lassen ihn nicht ruhn. Er erinnerte aber auch an die noch ausstehende Verfassung,
da im Einigungsvertrag vereinbart wurde, dass das Grundgesetz, „das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, seine Gültigkeit
an dem Tage verliert, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“ (GG Artikel 146). Ist das nach 30 Jahren
nicht längst überfällig?
PS. Schade, dass die eingeladenen jungen Leute ausblieben und nicht die Chance nutzten, mit den Zeitzeugen ins Gespräch zu kommen. Dafür war aber Paulina (6) dabei, die mit ihrer hellen Stimme das alte Kinderlied „Unsere Heimat“ sang.